Ein Mann im Ledermantel, der erbarmungslos einen Widerstandskämpfer niederknallt … wenn wir an die deutsche Polizei im Ersten Weltkrieg denken, denken wir an die Gestapo, den berüchtigten Polizeidienst, oder die SS, die Schutzstaffel. Doch ist im besetzten Belgien nicht die SS an der Macht, sondern eine Militärverwaltung unter Leitung von Militärbefehlshaber Alexander von Falkenhausen.
Von Falkenhausen muss die Ordnung aufrechterhalten und die Wehrmacht mit eigenen Gesetzen, eigenen Polizeidiensten und eigenen Kriegsräten schützen. Nach dem Krieg findet er, dass ihm die Belgier dankbar sein müssen. Er soll die Bevölkerung nämlich vor einer Besatzung durch die schonungslose SS wie in den Niederlanden behütet und als ein milder, ‚korrekter‘ Besatzer gehandelt haben. Aber ist das tatsächlich so…? Einige zehntausende Belgier kommen mit dem deutschen Militärgericht in Berührung. Was müssen sie alles aushalten?

Institution : CegeSoma
Sammlung : Spronk
Urheberrechte : Spronk
Ursprüngliche Legende : Non légendée
Web-Legende : Portrait d’Alexandre von Falkenhaussen, à la tête de l’administration militaire en Belgique occupée entre mai 1940 et juillet 1944. À ce titre, il doit maintenir l’ordre en territoire occupé et est responsable de la mise en œuvre du système judiciaire allemand.

Sammlung : Archives du parquet au tribunal de première instance à Malines
Urheberrechte : AGR
Ursprüngliche Legende : Non légendée
Web-Legende : Ordonnance de l’administration militaire allemande publiée le 10 mai 1940 informant les citoyens de l’introduction du droit pénal allemand dans les territoires occupés.
Wenig Rebellion im ersten Besatzungsjahr
Von Anfang an droht der Besatzer mit strengen Strafen für Widerstandsaktionen. Gemeinrechtliche Tatbestände, grundsätzlich die Zuständigkeit der belgischen Justiz, werden auch von den Deutschen verfolgt, wenn diese deren Interessen schaden. Vor allem Diebstähle nehmen durch die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln rasant zu.
Doch zögert von Falkenhausen, Übertretungen tatsächlich streng zu bestrafen. Die Deutschen denken, dass sie den Krieg gewinnen werden und von einem von der Bevölkerung ausgehenden Widerstand ist kaum die Rede. Es scheint ihm demzufolge besser zu sein, sich das Image eines strengen, aber korrekten Besatzers zu geben. Gesetzesbrecher kommen anfänglich noch mit einer leichten Freiheitsstrafe davon. Diejenigen, die zu Todesstrafe oder zu einer schweren Freiheitsstrafe verurteilt werden, können beinahe systematisch mit einer Strafminderung rechnen.

Sammlung : Archives du parquet au tribunal de première instance à Malines
Urheberrechte : AGR
Ursprüngliche Legende : Appel du commandant en chef de l'armée allemande sur, entre autre chose, le mise sous occupation militaire des territoires occupés des Pays-Bas et de la Belgique et sur la possibilité de représailles en réponse à des actions prises contre l'autorité ocupante (10 mai 1940)
Web-Legende : Ordonnance allemande du 10 mai 1940 demandant aux citoyens belges de rester calme et d’obéir à l’armée allemande. Dans le cas d’actes hostiles ou de sabotages, l’occupant prendra des mesures plus sévères.
Erwachender Widerstand
Am 22. Juni 1941 fällt Nazi-Deutschland in die Sowjetunion ein. Die Zentralbehörden in Berlin befürchten eine Zunahme des Widerstandes im Westen und fordern, dass die Militärverwaltung in Belgien strenger auftritt. Von Falkenhausen ist nicht einverstanden. Dass die Spannung zugenommen hat, kann er nicht leugnen. Aber er schreibt dies der mangelhaften Lebensmittelversorgung zu und nicht den anti-deutschen Gefühlen. Er möchte seine ‚gemäßigte‘ Politik fortsetzen und warnt vor den Gefahren einer zu harten Repression.
Doch nehmen die Sabotageaktionen in den letzten Monaten des Jahres 1941 erheblich zu, bis zu durchschnittlich drei Aktionen pro Tag.

Urheberrechte : Droits Réservés
Ursprüngliche Legende : Non légendée
Web-Legende : Avis de l’Oberfeldkommandantuur de Bruxelles de décembre 1941 réclamant l’aide de la population pour identifier les auteurs de divers faits de résistance. Faute de résultats, l’occupant menace d’exécuter, en guise de représailles, des otages parmi les prisonniers politiques. Cette pratique devient fréquente durant la deuxième moitié de l’Occupation. Au total, 305 otages sont exécutés en Belgique occupée.
Sie richten viel Schaden im deutschen Heer an. Als im Dezember 1941 eine Bombe vor einem Militärbüro in der Brüsseler Avenue Louise explodiert und in Vilvoorde gleichzeitig drei Hochspannungsmasten gesprengt werden, möchte der Besatzer die Bevölkerung anspornen, die Flüchtigen anzuzeigen. Berlin empfiehlt von Falkenhausen, die Geiselnehmer als Vergeltungsmaßnahme zu exekutieren, wenn die Sache nicht gelöst wird.
Er befürchtet jedoch, dass die Hinrichtung unschuldiger Bürger die anti-deutschen Gefühle unnötigerweise anregt und entscheidet sich schlussendlich für eine Zwischenlösung: drei Widerstandskämpfer, die einen Monat zuvor zu Tode verurteilt wurden und noch Chance auf eine Begnadigung haben, erscheinen vor dem Hinrichtungskommando. In einer Pressemitteilung weist von Falkenhausen der Bevölkerung die Verantwortung hierfür zu. Dies sind die ersten Anzeichen einer verhärteten Repressionspolitik.
Der Wendepunkt in der deutschen Repressionspolitik
Im Herbst 1942 schlägt die Stimmung im besetzten Belgien endgültig um. Die Einführung der Pflichtbeschäftigung von belgischen Arbeitern in Deutschland am 6. Oktober 1942 schafft böses Blut. Viele tauchen unter und schließen sich dem Widerstand an.
Der Besatzer trifft einige neue gerichtliche Maßnahmen, wie beispielsweise die Reorganisation des Gerichtsapparates und eine allgemeine Verschärfung der Strafen. Aber auch alternative Methode werden immer häufig eingesetzt, um die öffentliche Ordnung zu schützen...
Außergerichtliche Methoden

Sammlung : Algoet
Urheberrechte : Algoet
Ursprüngliche Legende : Non légendée
Web-Legende : Le photographe Raphaël Algoet photographie des détenus du camp de Buchenwald. Il accompagne les troupes américaines lors de la libération des camps de Dachau et Buchenwald. À partir de septembre 1941, les prisonniers politiques belges sont déportés vers des camps en Allemagne. Au total, quelque 16.000 Belges ont été déportés.
Von Falkenhausen lässt jetzt systematischer zum Tode verurteilte Gefangene als Geiseln hinrichten. Nicht weniger als 240 Geiseln werden als Vergeltung für Widerstandsverbrechen vor dem Hinrichtungskommando erscheinen. Darüber hinaus erhält die Sipo-SD, der Polizeidienst der SS immer mehr Freiheit, um Widerstandskämpfer zu verhaften und ohne Gerichtsverfahren in Konzentrationslager im Reich zu deportieren.
Im Dezember 1941 setzt Hitler mit dem ‘Nacht und Nebel’-Erlass eine dritte Methode ein. Er befiehlt, Widerstandskämpfer ohne Wissen der Familie systematisch in einer Strafanstalt im Deutschen Reich ‚verschwinden‘ zu lassen.
Das ist das Schicksal von zwei jungen Frauen, die am 8. August 1942 ertappt werden, als sie für die Widerstandsgruppe Légion Belge Fotos von einer deutschen Luftabwehrbatterie in Chièvres machen. Zu allem Überfluss finden die Deutschen bei einer Hausdurchsuchung Schusswaffen und anti-deutsches Propagandamaterial. Das Schicksal von Cécile Detourney und Marguerite Bervoets ist besiegelt. Das Kriegsgericht stellt die Sache unter das NN-Dekret. Bis zum Sommer des Jahres 1942 warten bereits hunderte belgische NN-Verdächtige auf ihre Deportation. Nach dem Wendepunkt in der Politik Ende 1942 nimmt diese Anzahl beständig zu. Die beiden Frauen werden im Dezember – so wie 85 Prozent der Verdächtigen in diesem Jahr – ‚bei Nacht und Nebel’ in das Gefängnis von Wolfenbüttel in Deutschland gebracht. Zwei Jahre später ‚verschwinden‘ nicht weniger als 94 Prozent der Verdächtigen.
In Wolfenbüttel bekommt Detournay eine Zuchthausstrafe. Bervoets stirbt am 7. August 1944, zwei Jahre nach ihrer Festnahme, unter der Guillotine. Ihre Familie weiß von nichts.

Sammlung : Algoet
Urheberrechte : Algoet
Ursprüngliche Legende : Vues de Wolfenbüttel
Web-Legende : Guillotine du camp de Wolfenbüttel où la résistante Marguerite Bervoets est exécutée le 7 aout 1944. Condamnée pour espionnage en 1942, elle est transférée en Allemagne suite à l’application du décret Nacht und Nebel, envoyant systématiquement des résistants dans des prisons allemandes sans en informer les familles.
Hinrichtung durch Erhängen
Alle diese Maßnahmen lassen die Ruhe in Belgien nur teilweise zurückkehren. Am 14. April 1943 erschießt ein Unbekannter in Brüssel den Journalisten Paul Colin. Als Direktor des rexistischen Wochenblatts Cassandre und Gründer der pro-deutschen Zeitung Le Nouveau Journal ist Colin ein bekannter Kollaborateur. Sein Tod löst in Kollaborationskreisen viel Wut aus. Rex-Leiter Léon Degrelle verkündet, dass die Zeit der Vergeltung angebrochen ist.

Urheberrechte : Droits réservés
Ursprüngliche Legende : Paul Colin
Web-Legende : Le journaliste Paul Colin fonde en 1940 le « Nouveau journal », un quotidien pro-allemand. Collaborateur notoire, il est abattu en avril 1943 par des résistants. Il est érigé au rang de martyr par les partis de la collaboration.

Sammlung : Sipho
Urheberrechte : CegeSoma
Ursprüngliche Legende : Les funérailles de messieurs Paul Colin et Gaston Bekeman ont eu lieu à Bruxelles le 17 avril. Dans la salle de marbre au palais des Beaux-Arts à Bruxelles, a eu lieu une cérémonie solennelle l'initiative du service légionnaire et du Comité politique Rex. (18/4/1943) (Frei gegeben durch zensur)
Web-Legende : Enterrement de Paul Colin le 18 avril 1943. Assassiné par la résistance, ce journaliste pro-allemand, est érigé au rang de martyr par les collaborateurs. Les auteurs de l’attentat (Arnaud Fraiteur- Maurice Raskin- André Bertulot) sont exécutés par pendaison.

Sammlung : Sipho
Urheberrechte : CegeSoma
Ursprüngliche Legende : Les funerailles de Paul Colin et de Gaston Bekeman ont eu lieu à Bruxelles le 17 avril. La levée des corps. [19/4/1943] [Frei gegeben durch zensur]
Web-Legende : Enterrement de Paul Colin le 18 avril 1943. Assassiné par la résistance, ce journaliste pro-allemand, est érigé au rang de martyr par les collaborateurs. Cet attentat intervient dans un climat de violence et de vengeance de plus en plus marqué.
Von Falkenhausen befürchtet, dass diese Art vermehrter Gewalt zwischen Widerstandskämpfern und Kollaborateuren das Ende seiner Militärverwaltung bedeuten kann. Die SS möchte nämlich bereits seit längerer Zeit die Macht über das besetzte Belgien an sich ziehen. Dass es einen strukturellen Mangel an deutschen Polizeimitarbeitern gibt und dass die belgische Justiz nicht länger mit ihm mitarbeiten möchte, ist nicht gerade hilfreich (siehe Text über Predom).
Kurz nach dem Attentat auf Colin werden drei Brüsseler Partisanen festgenommen. Am 5. Mai 1943 erscheinen der 18-jährige Mörder Arnaud Fraiteur und seine Mittäter vor dem Kriegsgericht. Der Besatzer ist sich der Bedeutung dieser Rechtssache bewusst und lässt zum ersten Mal einige belgische Journalisten zum Prozess zu. Sie müssen der Bevölkerung mitteilen, dass jede Form von Gewalt streng bestraft wird. Eine radikalere Vorgehensweise gegen den Widerstand scheint die letzte Rettung zu sein.
Die drei Partisanen erhalten die Todesstrafe. Zum ersten Mal wird die Hinrichtung durch Erhängen vollzogen: der Beginn einer entgleisten Repression.
Es werden immer mehr Todesstrafen ausgesprochen (Grafik hinzufügen auf Basis der folgenden Tabelle, inkl. Quellenangabe). Von Falkenhausen mildert die Strafen auch nicht länger, sondern beschränkt sich auf die Bestätigung der Urteile. Mehr Geiseln werden hingerichtet. Und die Militärverwaltung ist bestrebt, in Prinzip jeden Prozess gegen einen ‚Terroristen‘ innerhalb von 24 Stunden abzuwickeln.
Möchte er mit seiner härteren Repressionspolitik Hitler davon überzeugen, dass er seine Position behalten muss? Vielleicht. In jedem Fall erfolgt die Kursänderung zu spät. Am 18. Juli 1944 muss die Militärverwaltung auf Befehl von Hitler die Macht offiziell an eine zivile SS-Verwaltung übertragen. Diese soll klare Verhältnisse schaffen, ein Auftrag, an dem von Falkenhausen Hitler zufolge gescheitert ist.
Übersicht über die Anzahl von den Kommando-Gerichten zum Tode verurteilten und hingerichteten Bürgern, unterteilt pro Quarta
Source: Roden, Dimitri. “"In Naam van Het Duitse Volk!” Het Duitse Krijgsgerecht En de Openbare Orde in Bezet België (1940-1944).” Ph.D. Thesis, Universiteit Gent, 2015.
Die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Händen der SS
Unter Verwaltung der SS gelangt die Justiz gänzlich ins Abseits. Auf frischer Tat ertappte ‚Terroristen‘ müssen jetzt vor Ort erschossen werden. Belgische Kollaborateure, die das Recht gegen den Widerstand in eigene Hände nehmen möchten, werden jetzt vollauf unterstützt. In einigen Teilen des Landes wütet ein echter Bürgerkrieg.
Die Verwaltung bleibt jedoch nicht lange auf Posten. Kaum zwei Monate nach der Einführung der Zivilverwaltung wird das Land befreit.
Von Falkenhausens Politik auf dem Prüfstand
Nach dem Krieg erscheint von Falkenhausen vor dem belgischen Kriegsgericht. Er behauptet, dass er die Belgier gegen die verbrecherische SS geschützt hat. War seine Politik denn wirklich so viel milder? Unter der SS herrschte tatsächlich noch mehr Willkür, aber diese Entwicklung hätte sich wahrscheinlich auch ergeben, wenn von Falkenhausen seine Position behalten hätte. Darüber hinaus führte auch seine Verwaltung außergerichtliche Maßnahmen ein.
Von Falkenhausens relative ‘Mäßigung‘ erweist sich eher als praktisch denn als ideologisch. Zu entscheidenden Zeitpunkten traf auch er schreckliche Maßnahmen, wie zum Beispiel die Erhängung der zum Tode Verurteilten. Um die Opfer kümmerte er sich nicht. Schlussendlich strebte auch er dasselbe Endziel an wie die SS: ein totaler deutscher Sieg über die Alliierten, zu jedem Preis.

Urheberrechte : Droits Réservés
Ursprüngliche Legende : Non légendée
Web-Legende : Portrait d’Alexander von Falkenhausen, chef de l’administration militaire en Belgique occupée, lors de son procès à Bruxelles en 1951. Les motifs d’inculpation sont divers : participation à la déportation de travailleurs belges en Allemagne, aux persécutions antijuives et à l'exécution d'otages. Condamné à douze ans de travaux forcés, il est extradé vers l’Allemagne où il est gracié par le chancelier Konrad Adenauer.

Urheberrechte : CegeSoma
Ursprüngliche Legende : Non légendée
Web-Legende : Entre mars et juillet 1951 se tient à Bruxelles le procès d’Alexander von Falkenhausen, chef de l’administration militaire en Belgique occupée. Condamné à douze ans de travaux forcés pour divers motifs (déportation de travailleurs belges en Allemagne, persécutions antijuives et l'exécution d'otages), il est finalement extradé vers l’Allemagne où il est gracié par le chancelier Konrad Adenauer.
Bibliografie
Roden, Dimitri. “"In Naam van Het Duitse Volk!” Het Duitse Krijgsgerecht En de Openbare Orde in Bezet België (1940-1944).” Ph.D. Thesis, Universiteit Gent, 2015.