Maßnahmen und Aktionen während und nach der Befreiung gegen Personen, die für die Kollaboration mit der deutschen Besatzung verantwortlich gemacht werden. Ungefähr 100.000 Belgier kommen direkt mit der Säuberung in Berührung.
Für Belgien ist es das zweite Mal in kaum einem Vierteljahrhundert, dass das Land mit den Freunden des deutschen Feindes abrechnet. Abhängig davon, wer die Initiative ergreift, hat die Bestrafung der Kollaboration drei Gesichter.
Im Privatsektor befreien Vereinigungen ihre Reihen von verdächtigten Mitgliedern. Dies geschieht in Kulturvereinen, Sportclubs, aber auch in Organisationen wie beispielsweise der Ärztekammer oder dem katholischen Unterrichtsnetz.
Auch das Volk nimmt das Heft in die eigenen Hände. Nach vier Jahren Angst und Besatzung wendet sich die Straße gegen Verdächtige, ihre Familien und ihre Besitztümer. Das geschieht in einer ersten Welle während der Befreiungswochen im Herbst 1944 und ein zweites Mal im Frühling und Sommer 1945, nach der Heimkehr der politischen Gefangenen nach der deutschen Kapitulation. Die Straßenszenen, mit Bildern von kahlgeschorenen Frauen und Plünderungen, schreiben sich in das kollektive Gedächtnis ein.
Doch bildet weder diese wilde Säuberung noch die Säuberung im Privatsektor den Kern der Bestrafung in der Nachkriegszeit. Diese Rolle ist dem belgischen Staat und den von ihm beauftragten Instanzen vorbehalten. Mittels der staatlichen Verfolgung der Kollaboration werden schlussendlich 100.000 Personen auf eine oder mehrere Weise bestraft, ungefähr 53.000 Menschen mit einer Verurteilung durch die Militärgerichte.
Außer Freiheitsentzug und in einigen Fällen der Todesstrafe nimmt die Verfolgung noch weitere Erscheinungsformen an. Mit Geldbußen, Beschlagnahmungen, Schadenersatz und speziellen Steuern zielt man auf das Vermögen ab. Die Aberkennung einiger ziviler und politischer Rechte und, in bestimmten Fällen, sogar der Entzug der Staatsbürgerschaft sorgen weiter für einen Unterschied zwischen guten und schlechten Bürgern. Mindestens ebenso spürbar sind schließlich alle Ausschlüsse, mit denen Behörden Dienstleistungen, Vorteile (beispielsweise das Recht auf Kriegsentschädigung oder Pension) und Ämter absprechen. So werden viele Menschen häufig mehrmals bestraft. Im Familienverband potenziert sich dieser Effekt, wenn der einzige Erwerbstätige im Gefängnis sitzt, seinen Arbeitsplatz verliert oder keine Beihilfen bekommt. Gemeinsam mit den 242 Exekutionen in der Nachkriegszeit und einem wechselnden Strafmaß skizziert diese vierspurige behördliche Repression das Bild eines heiß gelaufenen Rechtsstaates.
In der Praxis erscheint jedoch ein anderes, mehr nuanciertes Bild. Die Bestrafung wird lange nicht überall bis zum Äußersten durchgeführt. Für jede Form der Bestrafung tauchen rasch zwingende Mäßigungsgründe auf: eine aus dem Gleichgewicht geratene Strafrechtspflege, eine unangepasste Gefängnisinfrastruktur, ein Mangel an gut ausgebildetem Bewachungspersonal, die Unfähigkeit vieler Verurteilten, die Geldstrafen zu bezahlen, die wirtschaftliche Wiederherstellung des Landes und die Furcht, dass ein langfristiger Ausschluss eine stigmatisierte Gruppe schaffen würde.
Deshalb wurde früh eingegriffen, um die verschiedenen Formen der Bestrafung ins Gleichgewicht zu bringen und systematisch abzubauen. Zuerst mit Flickwerk und später mit einer breiteren und formalisierten individuellen Rehabilitierungsspolitik. Das geschieht nicht durch Amnestie. Die allgemeine Maßnahme nach dem Ersten Weltkrieg hat einige nicht davon abgehalten, in den 1940er Jahren erneut zu kollaborieren. Darüber hinaus ist die Kooperation mit dem Feind im Zweiten Weltkrieg deutlich umfangreicher. Auf eine besser kontrollierte Weise, mittels individueller Verfahren, wie beispielsweise Begnadigung, Haftentlassung und Rehabilitierung in Verbindung mit Gelegenheitsgesetzgebung, wurde die Verfolgung der Kollaboration bis auf einige verwaltungstechnischen Ausschlüsse in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre juristisch größtenteils gemäßigt und beendet.
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