Der Begriff Ostkantone bezeichnet die neun Gemeinden der heutigen Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und ihre beiden französischsprachigen Nachbargemeinden Malmedy und Weismes. Es handelt sich dabei um Gemeinden, die 1920 von Deutschland abgetrennt und an Belgien angegliedert worden sind. Eine Ausnahme bildet die Ortschaft Kelmis, das ehemalige Neutral-Moresnet.
Ein kontrolliertes Referendum
Der Versailler Vertrag sah für die Bevölkerung der Kreise Eupen und Malmedy die Möglichkeit vor, sich gegen die Abtretung an Belgien auszusprechen. Davon machten jedoch nur 272 von 33.726 Wahlberechtigten Gebrauch. Vor dem Hintergrund des Resultats wurden die Neutralität und die Freiheit dieser Meinungsäußerung rasch in Frage gestellt.
Zwischen Januar 1920 und März 1925 wurde das Gebiet als Generalgouvernement verwaltet. Mit dem Eingliederungsgesetz vom März 1925 wurden die Kantone Eupen, Malmedy und Sankt Vith dem Bezirk Verviers und der Provinz Lüttich eingegliedert.
Nationalitätenkonflikt: „pro-deutsch“ gegen „pro-belgisch“
Die Polarisierung zwischen einem „prodeutschen“ und einem „probelgischen“ Lager prägt das politische und soziale Leben. Für die Bewohner brachte dies Anpassungsprozesse und Konfliktsituationen mit sich. Trotz der Integrationspolitik der belgischen Regierungen betrachteten viele Bewohner sich als „Belgier zweiter Klasse“. Dies wurde von der deutschen Kulturpropaganda ausgenutzt, die nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten intensiviert wurde. Der Wahlkampf von 1939, von der Katholischen Union unter dem Slogan „Christenkreuz statt Hakenkreuz“ gegen die Heimattreue Front geführt, markierte den Höhepunkt der Auseinandersetzung.
Zweiter Weltkrieg
Der Einmarsch der Wehrmacht brachte die Annexion durch NS-Deutschland. Auch wenn diese von vielen Bewohnern als „Befreiung“ empfunden wurde und – nicht nur aus Verpflichtung – zum Engagement in NS-Organisationen führte, zeigte sich in der Reaktion auf die antikatholische Politik des Reiches ein Unwohlsein, das durch die Todesmeldungen von der Ostfront noch verstärkt wurde.
Trotzdem wurde die Befreiung im September 1944 mit Misstrauen und Unsicherheit aufgenommen. Im Süden brachte die Ardennenschlacht Tod und Zerstörung in nie gekanntem Ausmaß.
Nachkriegszeit
Die Zeit nach 1945 war geprägt von der „Säuberung“ und der Assimilationspolitik der Behörden. Die Zerstörungen waren materiell und geistig. Die jüngste Vergangenheit wurde verdrängt, was eine Voraussetzung zur Herstellung eines sozialen Friedens gewesen zu sein scheint, jedoch jede kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten verhinderte.
Bibliografie
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