Im Jahr 1941 zieht der siebzehnjährige Flame Oswald Van Ooteghem, gemeinsam mit fünfhundert anderen Freiwilligen mit großer Begeisterung an die Ostfront. Er wird dort für die Deutschen kämpfen, aber in seinen jungen Augen ist es vor allem ein Kampf für Flandern.
Oswald Van Ooteghem: départ
Institution : Historische Huizen Gent
Sammlung : Exposition "Gekleurd Verleden. Familie in oorlog"
Urheberrechte : Historische Huizen Gent
1941 bin ich aus Brüssel weggegangen. Ein unvergesslicher Tag. Wir marschierten mit fünfhundert Freiwilligen durch die Straßen von Brüssel, die Löwenflagge voran. Und überall auf dem Straßenrand jubelten uns die Menschen zu. Hellauf begeistert war ich. Endlich konnte ich gegen die Kommunisten und für Flandern kämpfen. Wir würden für Flandern einen Platz im neuen Europa erreichen. Ich weiß noch sehr gut, dass Reimond Tollenaere es in seinem Aufruf so gesagt hat. Reimond war ein guter Freund meines Vaters.
Eine flämisch-nationalistische Erziehung
Oswald Van Ooteghem, geboren im Jahr 1924, wächst in den 1930er Jahren in einer flämisch orientierten Umgebung auf. Sein Vater – sein Held – ist im „Vlaams Nationaal Verbond“ (VNV) aktiv. Seine Mutter ist Leiterin des „Vlaamse Meisjebond“ in Gent. Im Alter von zehn Jahren wird Oswald Mitglied der „Dietse Blauwvoetvendels“, der Jugendorganisation des VNV. Er ist sieben Jahre alt, als die Polizei seinen Vater morgens zuhause für seine Beteiligung an einer gewalttätigen Demonstration in Edingen verhaftet. Dieses Bild hat sich bei ihm eingeprägt.
Der kleine Oswald bekommt den ‚Flämischen Kampf‘ von Kindesbeinen an eingetrichtert. Er hat keine Zweifel: die Geschichte seiner Kollaboration hat bereits vor dem Krieg begonnen, in der festen Überzeugung, dass die Umgebung, in der er aufwächst, Flandern repräsentiert. Aber seine anti-belgische, flämisch-nationalistische Umgebung ist relativ klein. Sie ist nicht einmal repräsentativ für die flämische Bewegung. Seine jungen Augen sehen dies anders. Oswald fühlt sich durch die Zuschauer bejubelt, als er bei seinem Weggang zur Ostfront durch Brüssel marschiert. Andere Zeugen finden die Stimmung geradezu bedrückend und bemerken einen großen Abstand zwischen den jungen Rekruten und den Umstehenden. Die Wahrnehmung kann unterschiedlich sein und individuelle Erinnerungen folglich auch.
An der Ostfront
Im polnischen Debica bekommt Oswald eine unmenschlich harte Ausbildung. Einige Monate später wird er mit der Flämischen Legion zur Leningradfront geschickt. Im Gegensatz zu den Russen sind die flämischen Jungen nicht auf die extremen Temperaturen vorbereitet. An einigen Tagen sinkt die Temperatur auf bis zu -52ºC. Oswalds Zehen zeigen in seinen nicht gefütterten Soldatenstiefeln aus Leder schon bald Erfrierungserscheinungen. Er leidet sein ganzes weiteres Leben darunter.
In Weshky-Semptitzy fällt er beinahe. Bei einem Angriff steht plötzlich ein russischer Soldat hinter ihm, mit dem Gewehr im Anschlag. Ein Kamerad von Oswald schießt als erster und der Soldat ist auf der Stelle tot.
Im Juni 1942 bekommt Oswald in Berlin eine Ausbildung als Kriegsberichterstatter. Er muss nach Leningrad zurückkehren und gerät in eine schwere Schlacht. Zweiundsiebzig Stunden liegt er in einem Wald unter Beschuss. Er wird in seinem linken Oberschenkel, am Ellbogen und an der Wange von herumfliegenden Granatsplittern getroffen. Aber er hat Glück: sein Kamerad wird tödlich getroffen und stirbt neben ihm.
Nach seiner Aufgabe als Kriegskorrespondent wird Oswald im November 1943 zurückbeordert, um die Offiziersschule zu besuchen. Ein letztes Mal geht er an die Front, dieses Mal an die Oderfront, und zwar als Offizier im flämischen Jugendbataillon.
Die Sache ist verloren
Oswald Van Ooteghem - la cause est perdue
Institution : Historische Huizen Gent
Sammlung : Exposition "Gekleurd Verleden. Familie in oorlog"
Urheberrechte : Historische Huizen Gent
Wir können nicht weiter, meine Jungen sind noch nicht einmal 16, sie sind schlecht ausgebildet. Wir haben beinahe keine Waffen oder Munition mehr. Für mich ist es klar: wir werden den Russen in die Hände fallen. Die ganze Front hier an der Oder. Dass es alles so enden muss, hätte ich vor vier Jahren niemals gedacht.
Die Situation ist nicht mehr tragbar und Oswald löst seine Einheit auf. Oswald kann durch die russischen Linien nach Deutschland flüchten, wo er seine Militärkleidung gegen Zivilkleidung eintauscht. Er taucht mit dem Namen Hans Richter unter und heiratet eine deutsche Frau. Nach einigen Jahren erstattet er auf Drängen seiner Mutter doch Selbstanzeige. In Belgien wird er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und landet bei seinem Vater und Hendrik Elias im Gefängnis an der Nieuw Wandeling in Gent. Dort stirbt sein Vater im Jahr 1962.
Oswald kommt nach einem Jahr vorzeitig frei. In den 1950er Jahren wird
er Mitglied der flämisch-nationalistischen Partei „Volksunie“. In den
1960er-, 1970er- und 1980er Jahren wird Oswald diese Partei als
Provinzratsmitglied von Ostflandern, Gemeinderatsmitglied von Gent,
Senator für den Bezirk Gent-Eeklo im belgischen Senat, dem Kulturrat und
dem Flämischen Rat, dem Vorläufer des jetzigen flämischen Parlaments,
vertreten.
Es war für Flandern
Die flämisch-nationalistische Kollaboration wird häufig auf einen Kampf für „Flandern“ reduziert. Nicht nur das individuelle Gedächtnis ist selektiv, auch die kollektive Erinnerung enthält Mythen, Klischees und Halbwahrheiten. Es gibt immerhin noch zahlreiche andere Motive für eine Kollaboration als den „Flämischen Kampf“. Aber alle Kollaborateure unterstützendie deutsche Macht, wie Oswald dies an der Ostfront tut.
Nach der Befreiung bekommen militärische Kollaborateure wie Oswald folglich häufig die Rechnung präsentiert. Die belgischen Behörden entwickelt sich jedoch rasch in Richtung einer breiten Strafmilderungspolitik, wodurch auch Oswald bereits nach einem Jahr freigelassen wird. In Flandern werden Kollaborateure zudem rasch wieder in einer Gesellschaft aufgenommen, in der ehemalige Ostfrontler ihr Engagement vor allem als antikommunistisch beschreiben. Ihr Einsatz gegen die Rote Armee von Stalin erweckt in den Jahren des Kalten Kriegssogar Sympathie. Im flämisch gesinnten Erinnerungsmilieu dominiert der Mythos, dass das kollaborierende Flandern falsche Allianzen im Interesse des flämischen Volkes einging.
Bibliografie
De Wever, Bruno, Martine Van Asch, and Rudi Van Doorslaer, eds. “Getuigenis Oswald Van Ooteghem.” In Gekleurd Verleden: Familie in Oorlog, 118–25. Tielt: Lannoo, 2010.
De Wever, Bruno. “Het Was Voor Vlaanderen. Voor Vlaanderen, Zeg Ik U.” In Gekleurd Verleden: Familie in Oorlog, edited by Bruno De Wever, Martine Van Asch, and Rudi Van Doorslaer, 126–32. Tielt: Lannoo, 2010.